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Museen Stade
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MUSEEN STADE FORSCHEN GEMEINSAM MIT PARTNERINSTITUTIONEN IN TANSANIA AN EINER KOLONIALZEITLICHEN SAMMLUNG

Panorama Postkarte des Amani Instituts mit persönlichen Beschriftungen von Karl Braun. © Stadtarchiv Stade, StadtA STD VI 168.

Schon seit Mai 2022 erforschen die Museen Stade eine kolonialzeitliche Sammlung aus ihrem Bestand. Gefördert wird diese Unternehmung vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste, welches seit 2019 einen besonderen Förderschwerpunkt zu Sammlungen aus kolonialen Kontexten hat. Die Sammlung erhielt die Stadt Stade bereits im Mai 1934 als Geschenk und zwar von dem Botaniker Karl Braun, der bis zu seiner Rente das Forschungszentrum für Obstbaumkrankheiten der Biologischen Reichsanstalt für Land- und Forstwirtschaft in Stade leitete.


Bevor Braun 1921 nach Stade kam, hatte er von 1904 bis 1920 im Amani Institut gearbeitet, einer Forschungsstation, welche vom Reichskolonialamt im tansanischen Usambara-Gebirge des damaligen "Deutsch Ostafrika" eingerichtet wurde. Im Zuge seiner Arbeit sammelte er mit großer Akribie ethnografische Objekte, die er sich im kolonialen Unrechtskontext über Ankauf und Schenkungen aneignete. Diese umfassende Sammlung brachte er 1920 mit nach Deutschland, als er die inzwischen britische Kolonie verlassen musste.


Das historische Amani Institut besteht bis heute. Unterhalten wird es vom National Institute for Medical Research (NIMR), das am Fuße der Usambaras nach dem Ende der britischen Kolonialzeit eine neue Forschungseinrichtung geschaffen hat, die sich unter anderem der Malariaforschung und Ethnomedizin widmet.

 

Prof. Said S. Aboud, General Director of NIMR, unterzeichnet das MoU © Museen Stade

Gemeinsam mit dieser nationalen Einrichtung machen sich nun die Museen Stade auf den Weg die Erforschung der Sammlung weiter voranzutreiben. Dazu wurde am 06.02.2023 eine Kooperationsvereinbarung von Prof. Said S. Aboud, Generaldirektor des NIMR, und Dr. Sebastian Möllers, Direktor der Museen Stade, in Dar es Salaam unterzeichnet, das die gemeinsamen Ziele und die Form der Zusammenarbeit festhält.

Dabei geht es unter anderem darum, einen Perspektivwechsel im Blick auf die Objekte und die Institutsgeschichte herzustellen. Da zur deutschen Kolonialgeschichte fast ausschließlich deutsche Quellen vorliegen, wurde bisher überwiegend aus Richtung der kolonialen Akteur*innen auf diesen Abschnitt der Geschichte geschaut.

Dies soll sich nun durch die Kooperation verändern. Auch geht es darum, die Fragestellungen der heutigen tansanischen Wissenschaftskolleg*innen einzubeziehen.


Bisher wurde die Funktion der wissenschaftlichen Institutionen der Kolonialorgane nur sehr unzureichend beforscht. Dabei ist ihre Rolle im kolonialen Machtgefüge viel größer als man vielleicht auf den ersten Blick denkt. Häufig wurde auf die bekannten Namen und ihre vermeintlich großartigen Lebensleistungen anstatt auf ihre Verbrechen geschaut. So arbeitete z.B. auch Robert Koch in Amani, bevor er seine eigene Station am Viktoriasee einrichtete.

Was ist aber der Hintergrund der Forschungsaktivitäten in den Institutionen? Es ging unter anderem darum, sich Wissen der unterworfenen, einheimischen Bevölkerung anzueignen, die z.B. von Karl Braun bis zur Erschöpfung befragt wurde, wie er in seinen Tagebüchern darstellt und ein wichtiger Gegenstand des Forschungsprojekts sind. Ein weiterer Aspekt ist die effektive Ausbeutung der Kolonien. Welche Rohstoffe lassen sich wie verarbeiten, welche Pflanzen können angebaut, welche Tierarten verwertet werden usw.? Diese Fragen trieben auch Karl Braun um. Viele Objekte seiner ethnografischen Sammlung sind vor diesem Hintergrund von ihm ausgewählt.

 

Auswahl von Objekten aus der Sammlung von Karl Braun, 1 Sack zum Filtern von Kokosöl, 2 Holzlöffel mit Brandmusterung, 3 Holzgefäß mit Brandmusterung, 4 Maske mit Kaurimuscheln © Museen Stade

In Amani sollte der größte botanische Garten der Welt entstehen, in kolonialer Konkurrenz zu einem botanischen Garten der Niederlande auf Java.


Über 3000 Pflanzenarten aus der ganzen Welt wurden nach Amani gebracht und angepflanzt. Im Gegenzug versorgte das Institut die deutschen botanischen Gärten und Forschungsinstitute mit Samen und Material für ihre Herbarien. Die Auswirkungen der deutschen Gigantomanie sind bis heute im Amani Nature Reserve überdeutlich nachvollziehbar. Der ehemalige botanische Garten hat sich verselbstständigt. Unzählige Pflanzenarten, die eigentlich nicht in das Ökosystem gehören, verdrängen die lokalen Spezies. Dabei wir die Region auch als das Festland-Galapagos bezeichnet, da es weltweit zu den 20 Orten mit der größten Biodiversität und den meisten endemischen Arten zählt. Dieser Status ist bedroht, eine Folge der deutschen Kolonialherrschaft, die auch das große Plantagenwesen, verbunden mit immensen Rodungen mit sich brachte – eine Veränderung ökologischer Systeme, geleitet von ökonomischen Interessen, die bis heute nachwirkt.

 

Auf den ersten Blick eine üppige tropische Vegetaion im Amani Nature Reserve. Tatsächlich handelt es sich überwiegend um invasive Arten aus der deutschen Kolonialzeit, die bis heute die zum Teil endemische einheimische Pflanzenwelt bedrohen. © Museen Stade

So sind die Folgen der deutschen Kolonialgeschichte bis heute wirksam und führen zu vielfältigen Problemen. Die Aufarbeitung dieses Teils deutscher Geschichte ist längst überfälligund rückt nun endlich in den Fokus. Sie kann allerdings nur zusammen mit Partner*innen aus dem heutigen Tansania erfolgen. Es muss ein gemeinsamer Weg der Aufarbeitung sein, so wünschen es sich die Museen Stade und auch das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste. „Ein wesentlicher Bestandteil der Forschungsprojekte im Bereich des Kultur- und Sammlungsguts aus kolonialen Kontexten ist die Einbeziehung von lokalem Wissen und Partner*innen aus den Herkunftsländern der Sammlungen“, sagt Jan Hüsgen vom Deutschen Zentrum Kulturgutverluste. „Wir begrüßen deshalb ausdrücklich die vorbildhafte Kooperation der Museen Stade mit dem National Institute of Medical Research, die auch die Bereitstellung von Personalmitteln für die Forschung in Tansania umfasst.“


Um über die Koopertion mit dem National Institute of Medical Research hinaus noch weitere Stimmen einzubeziehen, fand nun am 09. und 10.02.2023 in Dar es Salaam ein Workshop statt, an dem ebenfalls Vertreter*innen des National Museum of Tanzania, der University of Dar es Salaam und des Amani Nature Reserve teilgenommen haben. Vorbereitet wurde die Veranstaltung gemeinsam mit dem örtlichen Goethe-Institut.


Ziel ist es, dabei auch Ideen für anschließende Ausstellungsprojekte zu entwickeln, welche die Ergebnisse des Forschungsprojekts einer breiten Öffentlichkeit in Deutschland und Tansania vorstellen. Künstlerische Beiträge aus beiden Ländern sollen in diesem Zusammenhang den wissenschaftlichen Betrachtungshorizont erweitern.


Weitere Informationen zum Forschungsprojekt:

https://www.museen-stade.de/schwedenspeicher/service/forschung/sammlung-karl-braun

Förderer und Projektpartner:

 

Pressekontakt: Luisa Pauline Fink | presse@museen-stade.de | tel 04141. 79 773 14 | fax 04141.79773 99